Nach ihrer Rede bekam Gwiazda, nunmehr Astra, die ”Mutter der Nation”, volle Bewegungsfreiheit. Auch wurde sie in Geheimnisse eingeweiht. Sie hatte sich und letztendlich ihren Grossvater gefragt, wo denn die Menschen abgeblieben wären, die vor den neuen Siedlern in Oban (Stewart Island) gewohnt hätten. Man hätte keine einzige Leiche gefunden. Man erklärte ihr daraufhin, dass man aus Rücksicht auf die Kinder die Leichen entfernt hätte. Aber wenn Schlafspray und Exitus gleichzeitig stattfanden, wie und wann wurden dann die Leichen entfernt? Diesen Gedanken behielt sie für sich.
Die Wanderer und ihre Anhänger hatten über Jahre hinweg Material und Lebensmittel gesammelt, um die Übersiedlung zu ermöglichen. Es gab nichts woran sie nicht gedacht hätten: Wohncontainer, haltbare Lebensmittel, Geräte, Werkzeuge, Samen, Pflanzen, Tiere fast wie eine Arche Noah. Wie hatten sie das nur alles unbemerkt zusammengesammelt? Mammon war stark und hatte viele Anhänger. Es kam ihr merkwürdig vor. Doch auch diese Überlegung äusserte sie nicht laut.
Sogar Computer gab es, aber nur für die Wanderer, und die restliche Bevölkerung von Stewart Island wusste nichts davon. Gwiazda fragte natürlich, warum das so sei, aber die Antwort darauf war so vage und gleichzeitig verschnörkelt, dass sie sich keinen Reim darauf machen konnte. Man verbot ihr auch strengstens darüber zu reden. Auch bekam sie keinen Zugang zu den Computern. Auf die Frage, woher denn die Elektrizität für die Computer herkäme und anscheinend existierte auch eine Internetverbindung, bekam sie eine für sie völlig unverständliche technische Antwort. Natürlich gab es Elektrizität auf der Insel, denn selbstverständlich hatte man an Generatoren gedacht, aber das reichte nur für den täglichen Hausgebrauch. Später sollten Windmühlen im Meer aufgestellt werden und auf der benachbarten, unbewohnten Insel Codfish Island, denn auch diese hatte man nicht vergessen mitzunehmen. Gwiazda konnte sich nicht vorstellen, dass es noch ein Internet geben sollte, wenn alle Menschen tot waren. Vielleicht weil einige davon beim Einschlafen online waren? Müsste dann nicht irgendwann der Strom ausfallen und dann wäre alles tot? Sie hatte nämlich auch Lichter an der neuseeländischen Küste gesehen, die ihr Grossvater damit abtat, dass es sich um automatisierte Strassenbeleuchtung handelte, die irgendwann nicht mehr funktionieren würde.
Gwiazda suchte den Kontakt zu ihren Mitbürgern und fand heraus, dass es sich um ernsthafte, dedikierte Menschen handelte, die auf der anderen Seite in dem begangenen totalen Völkermord kein Verbrechen sahen, sondern eine Notwendigkeit, wenn der Planet gerettet werden sollte. Natürlich war sie sehr vorsichtig, wenn sie andere Leute traf. Als Mutter der Nation konnte sie schliesslich nicht verräterische Äusserungen von sich geben. Es war auch gefährlich in Bezug auf die Wanderer. Sie war sich im Klaren darüber, dass sie diese Leute nicht unterschätzen durfte und ihre Geduld mit ihr nicht unbegrenzt sein würde. Schliesslich hatten sie ihre Rücksichtslosigkeit bewiesen, nicht wahr? Die Verwandschaft mit einem Wanderer würde sie nicht völlig absichern.
Einmal hatte sie ihren Grossvater gefragt, wie es ihnen denn gelungen wäre die Unterwanderung durch Spione Mammons zu vermeiden. ”Ganz einfach”, hatte er geantwortet, ”man lässt alle ein Kapitel aus ”Sternchen und der Wanderer” vorlesen. Mammon-Anhänger können das nicht ertragen.” Ihre, ebenfalls stummen Gedanken dazu waren, dass ein dedikierter Spion doch sicherlich versuchen würde sich dem ”Gift” des Buches gegenüber immun zu machen.
Der Kontakt zum Festland war total untersagt. Aus eben diesem Grund hatte man ja alle Schiffe zerstört. Aber waren wirklich alle zerstört? Gwiazda meinte manchmal nachts Motorengeräusch auf dem Meer gehört zu haben. Aber sie wollte lieber nicht nachfragen, denn sie hatte sich schon als zu neugierig gezeigt und wollte nicht wieder in ein Zimmer gesperrt werden.
Im Laufe der folgenden Jahre, in denen die Gemeinschaft stärker wurde, die Anzahl der Kolonisten wuchs, die Schmelztiegelidee zu funktionieren schien und alle oder besser die meisten sich über den Erfolg des Projektes freuten, kam es immer mal wieder vor, dass sich einzelne Siedler, merkwürdigerweise alles Männer, sich Flösse bauten und sich zum Festland aufmachten. Die meisten sah man nie wieder. Einzelne kamen zurück, wurden aber nicht an Land gelassen, denn schliesslich konnten sie Träger des Virus sein, den die Wanderer und ihre Anhänger auf die Menschheit losgelassen hatten. Wer insistierte an Land zu kommen, wurde erschossen. Ja, Waffen hatte man natürlich auch nicht vergessen …
Gwiazda verstand nicht, warum man nicht einfach ein Quarantänezentrum einrichtete, anstatt diese Leute zu erschiessen, denn so viele waren es ja nicht, die zurückkamen. Wie schrecklich war dieser Virus? Wieso überhaupt ein Virus? Man hatte ihr doch erzählt, dass es sich um ein Gift handelte, man schlief ein und fertig.
Oder hatten diese Leute auf dem Festland etwas entdeckt, von dem die Wanderer nicht wollten, dass es herauskam? Hatten die Wanderer Gwiazda und allen anderen ein fantastisches Märchen aufgetischt? Aber warum? Was steckte dahinter? Wie war die Situation auf dem Festland wirklich? Vielleicht waren gar nicht alle tot?
Gwiazda würde sich hüten, darüber mit ihrem Grossvater zu sprechen. Er war bereits misstrauisch geworden als sie sich so sehr für die Computer interessierte. Ausserdem hatte sie bei ihm einen Erfolg verbucht. Die Wanderer hatten tatsächlich geplant, dass Gwiazda und Holger heiraten und somit als Volksheldenpaar auftreten sollten, und dann kleine Volksheldenkinder auf die Welt brachten. Das hatte Gwiazda kategorisch abgelehnt, denn einen Ehepartner wollte sie sich selber wählen, wenn überhaupt. Sie hatte gedroht, dass sie versuchen würde zum Festland zu schwimmen, wenn der Plan nicht fallen gelassen würde. Die Wanderer waren wütend, aber in diesem Fall hatten sie nicht darauf bestanden. Sie musste vorsichtig sein, bis sich die Wogen wieder geglättet hatten. Holger war natürlich gekränkt und ignorierte sie momentan völlig, doch das war ihr nur Recht.
Sie fühlte sich sehr verunsichert. Einerseits schien die Besiedelung der Insel und die Versorgung der Gemeinschaft einwandfrei zu funktionieren, aber andererseits befielen sie Zweifel über den Hintergrund dieses Projektes. Hatten sie wirklich die Menschheit gerettet? Oder hatten sie die Welt vor der Menschheit gerettet? Den Erreger sozusagen eingekapselt?
Hatte sie das Richtige getan, als sie einwilligte, die Mutter der Nation zu spielen? Hatten die Wanderer sie vielleicht alle belogen? Die Zukunft würde es zeigen. Sie musste wachsam bleiben und bereit sein für das, was kommen würde.
END? Echt? Whäääää!!!! *heul*
Wir hätten so gerne noch mehr erfahren….
Gut geschrieben hast Du das alles liebe Birgit! Wirklich gut!
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Ich habe eine Idee für einen After-Epilog, aber der ist SEHR zynisch. Man hat bereits zu mir gesagt, dass diese Geschichte so düster wäre …
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Nun, manche Geschichte braucht die Düsternis um zurück ins Licht zu finden! 😉
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Liebe Birgit, ich möchte noch mehr wissen! Auch wenn es zynisch ist… Wie lösen sich die Fragen von Gwiazda? Ich finde auch, dass du toll geschrieben hast.
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Danke, das ist wirklich lieb von dir. Dann überlege ich mir das nochmal … 😉
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Liebe Birgit,
da war doch erst (Part 8 von 9) – nach Adam Riese kommt da noch (Part 9 von 9) ???
Oder willst du die Auflösung unserer Fantasie überlassen?
Ansonsten bis hierher spannend geschrieben – fein gemacht.
Vielleicht schreibst du doch noch weiter – bitte! 😉
Lieben Gruß Lilo
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Teil 9 von 9 kommt nächsten Dienstag, das ist dann das Ende. Habe ich fast falsch benannt? Teil 8 von 9 war heute. Teil 7 von 9 war???? Ich schaue nach …
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Teil 7 von 9 war vor fünf Tagen, Teil 8 von 9 heute … 😉
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