Intuition, 2. Teil

Hier kommt wieder ein Beitrag zu dem Projekt „Schreib mit mir“, dieses Mal zu Teil 35 von Frau OFFENSCHREIBEN

Eine Woche nach dem seltsamen Vorfall im Restaurant, war Gwiazda abends nach der Arbeit in strömendem Regen auf dem Weg nach Hause, als sie auf dem menschenverlassenen Gehsteig einen jungen Mann liegen sah. Er wirkte völlig durchnässt, so als ob er dort bereits länger gelegen hatte. Gwiazda eilte zu ihm hin und kniete sich neben ihn. Erst jetzt bemerkte sie, dass er gar keine Schuhe trug. Die Arme waren zu beiden Seiten ausgestreckt, wie bei einem Gekreuzigten. Gwiazda versuchte den Puls des jungen Mannes zu finden, erst am Handgelenk, dann an der Halsschlagader. Da war was, aber sehr schwach.

Hier konnte er nicht liegen bleiben, dachte Gwiazda, ich muss einen Krankenwagen rufen. Während sie die Notrufnummer wählte, schlug der junge Mann die Augen auf und sah Gwiazda an. Sein Blick war klar, nicht verwirrt. Das war doch der junge Mann, der seine Verlobte oder Freundin oder was es war so plötzlich im Stich gelassen hatte, als er den Zettel auf dem Boden liegen sah, den Zettel, auf dem gestanden hatte ”Verschwinde so lange du noch kannst”. Mit klarer Stimme sagte der junge Mann: ”Sie müssen den Wanderer warnen, sie sind ihm auf den Fersen!” Gwiazda war wie gelähmt vor Schreck. Wieder dieser Hinweis auf den Wanderer oder den einsamen Wanderer, wie die merkwürdigen Männer ihn genannt hatten. ”Wer ist der Wanderer? Wer ist ihm auf den Fersen?” fragte Gwiazda verzweifelt. Sie verstand überhaupt nichts.

Doch der klare Moment des jungen Mannes war vorbei und sein Kopf fiel zur Seite. ”Hallo, Sternchen” rief jemand, ”was machst du denn hier?” Es war ihr Freund und Nachbar Holger. Gwiazda war froh, ihn zu sehen. ”Holger, gib mir deinen Schirm und ruf dann die Alarmzentrale an, dieser junge Mann ist verletzt, aber ich weiss nicht was ihm fehlt. Er muss dringend in ein Krankenhaus!” rief sie Holger zu. Der fragte nicht viel, gab ihr seinen Regenschirm und rief die Alarmzentrale an.

”Sie sind in 5 Minuten hier”, sagte Holger. ”Hier, nimm meinen Pullover und decke ihn damit zu, er muss ja völlig unterkühlt sein.” Der Krankenwagen kam wie versprochen und nahm den jungen Mann mit. Gwiazda und Holger fuhren mit ihm, sie fühlten, dass sie ihn jetzt nicht im Stich lassen konnten. Keiner der beiden hatte den Mann bemerkt, der gegenüber in einem dunklen Hauseingang stand und sie beobachtete. Ein hochgewachsener Mann mit schwarzem Hut und einem langen schwarzen Mantel.

In der Notaufnahme wurde der Verletzte sofort in einen Behandlungsraum gerollt und seine beiden Begleiter mussten in der Zwischenzeit einem Polizisten erzählen was passiert war. Ihre Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Nach ungefähr drei Stunden kam ein Arzt zu ihnen und berichtete, dass der junge Mann hart angeschlagen war, jetzt aber stabilisiert wäre. Er wollte ihnen nichts über die Verletzungen sagen, die er gefunden hatte, denn das wäre eine Sache für die Polizei. Er fragte allerdings, ob sie bemerkt hätten, dass die Hose des jungen Mannes mit Benzin getränkt war?  ”Jetzt wo sie es sagen”, antwortete Gwiazda, ”da war ein recht penetranter Benzingeruch, aber ich war so auf den Verletzten fokussiert, dass ich da nicht weiter drüber nachgedacht habe. Glauben Sie, dass man ihn umbringen, ihn in Brand setzen wollte?” Der Arzt zuckte mit den Schultern, ”das muss die Polizei herausfinden.”

Gwiazda hätte den jungen Mann gerne gesehen und ihm ein paar Fragen gestellt, aber das war im Moment, in seinem Zustand, nicht möglich. Sie musste sich ein paar Tage gedulden. Daher beschlossen sie und Holger, endlich nach Hause zu gehen und auf dem Weg noch einen Stärkungstrunk zu sich zu nehmen, denn so einen hatten sie wirklich nötig! Aus dem einen wurden drei und Gwiazda bedankte sich bei Holger, dass er ihr beigestanden hatte. ”So ein Glück, dass du gerade vorbeikamst! Normalerweise bist du um die Zeit doch schon zuhause!” sagte Gwiazda. ”Ja, ein glücklicher Zufall”, meinte Holger, der ziemlich einsilbig war. Das war so gar nicht seine Art, dachte Gwiazda, aber vielleicht war er einfach nur müde.

Als Gwiazda drei Tage später in das Krankenhaus ging, um den jungen Mann zu besuchen, war er nicht da, und das gesamte Personal, einschliesslich des behandelnden Arztes, bestritt, dass er jemals eingeliefert worden war. Das war zu merkwürdig! Sie logen alle, denn im Gang auf einem Stuhl lag Holgers Pullover …

Auch ein Besuch bei der Polizei brachte keine Klärung. Der Beamte, der sie und Holger befragt hatte, stritt ab, sie jemals gesehen zu haben. Was passierte hier? Sie war doch nicht verrückt. Es musste sich hier um einen Komplott handeln, ein Staatsgeheimnis oder so etwas.

Als sie abends nach Hause kam, stellte sie fest, dass Holger ausgezogen war ohne eine Nachricht für sie zu hinterlassen. Als sie versuchte ihn anzurufen, hörte sie die Nachricht ”dieser Anschluss existiert nicht mehr”.

Gwiazda setzte sich auf ihr Sofa, ohne ihren regennassen Mantel auszuziehen (ja, es regnete immer noch) und blieb still und wie verloren und im Dunkeln dort sitzen.

Veröffentlicht von

Stella, oh, Stella

Ich bin gebürtige Deutsche, mit einem Dänen nunmehr seit 1993 verheiratet und in Dänemark lebend. Meine Beiträge erscheinen daher in deutscher Sprache (und nicht in dänischer) und seit 2018 auch in englischer Sprache. … I was born in Germany, have been married with a Dane since 1993 and are living in Denmark. Therefore, my posts are published in German (and not in Danish) and since 2018 in English as well.

14 Gedanken zu „Intuition, 2. Teil“

    1. Als ich die Themen noch einmal alle durchging, kam mir plötzlich die Idee … 😉 Ich freue mich, dass sie dir gefällt.

      Was ich noch sagen wollte, seit Sonntag kann ich meine Kommentare auf deiner Seite nicht sehen, nur die alten von vor Sonntag. Du kannst sie anscheinend sehen, da ich Mails bekomme, dass du sie „geliked“ hast. Ich kann immer noch „liken“, nur die Kommentare, also meine eigenen kann ich nicht sehen. Hast du eine Ahnung, was da passiert sein könnte? Ich hoffe nicht, dass du mich blockiert hast … 😉 Ich war in Mariager auf dem Campingplatz an ein ungesichertes Netzwerk angeschlossen, vielleicht hat deine Firewall mich deshalb blockiert? Jetzt bin ich jedenfalls wieder zuhause auf meinem gesicherten Netzwerk.

      Gefällt 1 Person

      1. Damit habe ich mich näher beschäftigt. Blockiert habe ich dich auf keinen Fall. Aber ich habe die Kommentare in meinem Spamordner wiedergefunden. Warum auch immer. Ich habe sie jetzt freigegeben. Sie müssten also wieder da sein. Ich behalte meinen Spamordner auch erst einmal im Auge. Nicht, dass du noch einmal durchs Raster fällst.

        Gefällt 2 Personen

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